Institute for Music Munich

Zum Vorwort

Musik verbindet  - Gedanken in der Stille

Dr. Kumi Konaga, Geschäftsführerin

 

Im Sommer 1992 kam ich als Doktorandin aus Japan nach Heidelberg. Das letzte Kapitel meiner Doktorarbeit sollte nun in dem Land vollendet werden, nach dem ich mich seit meinem fünften Lebensjahr sehnte! -  In mir pochte der Enthusiasmus des Forschergeistes. All meine Sinne und Wahrnehmungen waren sensibilisiert und registrierten jede Einzelheit.

In meiner Naivität erwartete ich von den Menschen dort eine gewisse Neugier auf eine Fremde, was aber anscheinend speziell nur in einem Inselland wie in Japan als ausgeprägte Eigenschaft des Volkes gilt. Nicht die Einsamkeit, sondern das Desinteresse der Menschen bedeckte meine Seele Tag für Tag mit dunklen, schweren Regenwolken. In so einem Alltag weiß man ein kurzes Lächeln von jemandem zu schätzen. Darüber freut man sich den ganzen Tag lang. Es gab kein Internet. Ein kurzes Telefongespräch nach Japan kostete schon fünf Mark. So stand ich jeden Samstagvormittag mit einem dicken Brief an meine Mutter in der Schlange an der Post. Nur durch Schreiben gelang es mir, in meinem Herzen Ordnung zu schaffen. Damals schwor ich mir, dass ich in Zukunft jedem einzelnen Menschen meine Aufmerksamkeit schenke. Eine Musikakademie als Treffpunkt – So entstand die Uridee.

Nur die Kunst hielt mich zurück

Einsamkeit, Isolation. 1802 war die Taubheit von Beethoven schon sehr fortgeschritten. Auf einer Wanderung hörten die Leute eine Flöte oder Singen eines Hirten, während Beethoven nichts hörte.

„… solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück… – Geduld – so heist es, Sie muß ich nun zur führerin wählen, ich habe es – daurend hoffe ich, soll mein Entschluß seyn, aus zu harren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den letzten Faden zu brechen…“

So schrieb Beethoven in seinem berühmten Heiligenstädter Testament. Er war erst 32 Jahre alt.

Der Eintrag geht weiter: „… ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte…“

Niedergeschrieben wurde hier weder Resignation noch tatenlose Akzeptanz, sondern sein entschiedener Aufstand gegen das Schicksal. Die Musik, in der Beethoven seine Berufung sah, verbindet ihn mit dem Leben.

Ein Moment der Offenbarung…

In Heidelberg ging ich oft auf dem Philosophenweg, der in den Wald auf dem Hügel führte. Aus der Höhe schaute ich gern auf die kleine Altstadt runter, wo sich das musikwissenschaftliche Institut befand. Es war ein Oktobertag, kurz vor der Winterzeit. Die schon in den westlichen Himmel geneigte Sonne strahlte mit ihrer letzten Kraft auf die Stadt, die so aussah wie ein Sammelkasten von Streichholzschachteln. Das Rot der Ziegelsteine, das Gold der Bäume, das tiefe Grün des Neckars – Die Harmonie der Farben wurde durch den Pinselstrich der Herbstsonne glänzend vervollständigt. Dieser Anblick fesselte mich.

In dem Moment fingen die Glocken mehrerer Kirchen an, ihre eigenen Melodien zu läuten. Leise beginnend gewannen die Klänge mit der Zeit immer mehr an Stärke. Auf dem Hügel spürte ich, dass die anfänglich noch konfuse Mehrstimmigkeit in eine musikalische Einheit geflochten und hoch hinauf in den Himmel getragen wurde. Ich befand mich mitten in der Dynamik der Vereinigung von Mannigfaltigkeit, was kompositionsgeschichtlich durch die Hände von Beethoven die absolute Höhe erreichte. Wie vom Blitz getroffen kam die Erleuchtung, dass ich noch nichts von Musik verstand und so begann meine wissenschaftliche Odyssee. Heute, nach 26 Jahren weiß ich, dass diese Dynamik den Geist der Deutschen vertritt. Ein Moment der Offenbarung, der mich seitdem nicht noch mal besuchte.

Mozartinterpretation ist…

Unsere Akademie startete 2009 mit dem wunderbaren Pianisten Prof. Franz Massinger der Hochschule für Musik und Theater München, der als Student bei dem legendären Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli lernte. Mit Prof. Massinger teilte ich das Ideal und die Vision. Er erzählte einmal den Schülern: „Wenn man Mozartinterpretation mit der Beschreibung eines Baums vergleicht, heißt es nicht, der Baum habe einen Stamm, Äste und viele Blätter. Sondern: Der Baum hat einen kräftigen Stamm, von dem sich mehrere Äste strecken. Jeder Ast trägt Zweige, an denen kleine und große Blätter schaukeln. Auf einem Blatt ruht ein kleiner Marienkäfer. Als er seine winzigen Flügel öffnete, erschien in den Flügeln ein wie Blattgerippe gezeichnetes feines Muster. Bei einem Stück von Mozart sollte man dies bis dahin beschreiben.“ Keine einzige, wenn auch unscheinbare Note entging Prof. Massinger, wie jeder von seinen Schülern seine Aufmerksamkeit und Geduld spürte. Für einige Schüler brauchte er nicht viele Worte. Er zeigte seine Gedanken auf den Tasten und die Schüler reagierten sofort. Für andere brauchte er viele Worte, zitierte Vergleiche. Zum Schluss fand jeder in seiner Weise das Wichtigste und strahlte auf der Bühne. Es gab brillante und weniger brillante Schüler. Prof. Massinger nannte jeden „seine Perle, die in ihrer Art wertvoll und einzigartig ist.“

Konsequent in Richtung Wahrheit…

In der heutigen Leistungsgesellschaft vergisst man schnell, was wesentlich ist. Nach dem Tod von Prof. Massinger geriet ich selber oft in diese Gefahr. Für renommierte Musikhochschulen werden nur handwerklich solide Talente als Eliten zugelassen. Aber die nicht ausgewählten? Sollen sie wie Bruderküken als untauglich aussortiert werden? Wer kann so sicher das Potenzial eines Menschen orakeln? Die Begegnung mit einem großen Künstler wirkt auf reine Herzen junger Menschen und zeigt ihnen wie der Polarstern auch an den stürmischen Tagen den Weg. Bei Hospitationen beobachtet man das Geschehen objektiv. Sitzt man mit seinem Instrument selber vor dem großen Künstler, empfindet man den Ernst und die Spannung des Meisters gegenüber der Kunst am eigenen Leib. Wer Elend und Trauer selbst erlebte, kann schwerer Elend und Trauer der Anderen unbeteiligt zusehen. Eigene Erfahrungen haben eine völlig andere Dimension. Unsere Aufgabe ist, nicht nur gewissenhafte, professionelle Musiker auszubilden, sondern auch Menschen zu ermutigen, konsequent in Richtung Wahrheit zu gehen.

Diese Begegnung haben wir der Musik zu verdanken…

Ich liebe die Stimmung bei unseren Akademiekonzerten. Die Leute, die einmal dabei waren, bringen das nächste Mal ihre Freunde, Nachbarn oder Enkelkinder mit und fiebern mit unseren jungen Musikern. Mehrere Familien nehmen während des Kurses unsere Studenten bei sich zu Hause auf, was für die jungen Musiker nicht nur eine finanzielle Entlastung, sondern auch eine wertvolle Gelegenheit bedeutet, die hiesigen Menschen und das Leben persönlich kennen zu lernen. In meiner Heidelberger Zeit besuchte ich ab und zu eine Musikerfamilie, Herr Hermann Schäfer war Komponist, Frau Lore Schäfer Konzertsängerin.

Dass man am Kopf seines Frühstückseis mit einem Löffel klopft, im Kerzenlicht bis in die Nacht Gespräche genießt, sonntags mehrere Stunden in stillen Wäldern wandern geht – Was ich damals mit allen Sinnen bei Familie Schäfer unsortiert empfing, half mir später, in vielen Situationen a priori die Menschen zu verstehen. Unsere Akademie hat Menschen, die unsere Musiker durch Privat- wie Betriebskonzerte fördern. Als unsere Akademie vor der Obdachlosigkeit zitterte, setzten sich viele Menschen ein, um uns aus der Not zu retten. Es bedeutet mir alles, dass unsere Akademie immer mehr Freunde gewinnt, die mit uns Leiden und Freude teilen wollen. Jede einzelne Begegnung haben wir der Musik zu verdanken.

Wir haben zwei konkrete Vorhaben…

2019 beginnt das neue Jahrzehnt für unsere Akademie. Uns ist die Verantwortung in der Musik und der Gesellschaft bewusst.

„Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn Menschen gemeinsam träumen, ist es der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“ (Dom Hélder Câmara)

Die neue Wirklichkeit begann für uns schon längst.

„Die Zukunft gehört jenen, die an ihre Visionen glauben.“ (unbekannt)

Zum 1. November 2018 übernahm ich neben der Aufgabe als Vorstand des gemeinnützigen Vereins Asia-Europe Academy of Music Förderkreis klassischer Musik e. V. die Leitung der neu gegründeten gemeinnützigen GmbH Institut für Musik München.

Wir haben zwei konkrete Vorhaben. In unserer erstklassigen Talentschmiede bilden wir mit exzellenten Professoren und Solisten Nachwuchskünstler aus aller Welt aus, die unseren gemeinsamen Schatz der Musiktradition schätzen, pflegen und weiter geben. Wir organisieren auch Veranstaltungen, um Menschen durch die Musik zu verbinden und aus der Isolation zu holen. Aus den 1820er Jahren ist besonders ein musikalisch-literarischer Salon in Wien, wo sich Freunde um Franz Schubert trafen, als Schubertiaden bekannt. So ein intimer aber doch gesellschaftlicher Treffpunkt für Kulturliebhaber im Münchner Westen ist unser Ideal.

Bei jeder neuen Begegnung hüpft mein Herz vor Freude. Und für jede Art Unterstützung ist mein Dank unbeschreiblich und tief.

München, November 2018